Am 12. November um 19:30 Uhr wird der «Schamane des Klangs», der bekannte Gambist Vittorio Ghielmi, auch Dirigent, Komponist und Professor am Mozarteum Salzburg, als Gast mit La Cetra in der Martinskirche zu erleben sein – sowohl an der Gambe als auch das Orchester leitend.
Mit dem Programm «Anges & Démons» entführt La Cetra an den barocken französischen Hof in Versailles, wo sowohl Marin Marais – aufgrund seines lieblichen Gambenspiels als «Engel» bezeichnet – als auch der gut 15 Jahre jüngere Antoine Forqueray für Louis XIV. tätig waren. Forqueray wurde für seinen dramatischen, bisweilen furchteinflössend virtuosen Stil mit banger Bewunderung als «Teufel» tituliert…!
Ein gutes Dutzend von Marais‘ und Forquerays Kompositionen, zumeist für Gambe und Continuo, sind eingebettet in grösser besetzte Werke der beiden französischen Barockstars Lully und Rameau.
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Was Vittorio Ghielmi zu diesem spannenden Programm zu erzählen hat, erfahren Sie hier im Video oder Interview unter dem Video:
Wir haben mit Vittorio über französische Musik, sein Aufwachsen in einer musikalischen Familie und das Geheimnis der italienischen Pasta gesprochen…
Sie stammen aus einer sehr musikalischen Familie. Wie war es, in diesem Umfeld aufzuwachsen? Hatten Sie überhaupt eine Wahl?
Vittorio Ghielmi: Ja, ich hatte das Glück, in einem musikalischen Umfeld aufzuwachsen. Mit fünf Jahren begann ich mit dem Geigenspiel, später kamen Viola da gamba, Komposition und Dirigieren hinzu. Mein älterer Bruder Lorenzo gründete in seiner Jugend das Ensemble Giardino Armonico, und ich war noch ein Teenager und konnte miterleben, wie hart sie arbeiteten, um mit historischen Instrumenten technische Perfektion zu erreichen, was zu dieser Zeit noch eine Herausforderung war. Das hat mich sehr geprägt, nach Perfektion mit meinem Instrument zu streben und zu versuchen, die bestmögliche Technik zu erlernen, um beim Musizieren so frei wie möglich zu sein. Andererseits hatte ich die Möglichkeit, bei einem Label aufzunehmen, das nicht nur klassische Musik veröffentlichte, und Musiker aus anderen „Bereichen” (wie Jazz, traditionelle Musik usw.) kennenzulernen, was mir in meiner Jugend wichtige Einblicke in die Vielfältigkeit der Musik verschaffte…
Aber das war nur ein Teil meiner Jugend. Auf der anderen Seite war ich Sportler in einer Profimannschaft, ich liebte es, mit meinem Vater auf dem Land bei Mailand Pflanzen zu züchten, ich promovierte in italienischer Philologie und genoss das Mailänder Leben mit meinen Freunden. Ich muss sagen, dass ich nie ein monomanischer Künstler war und das Leben mich quasi zufällig zum Musiker gemacht hat.
Was hat Ihre Begeisterung für die Viola da gamba geweckt?
Wie gesagt, reiner Zufall. Ich hatte Probleme mit der Violine, weil meine geliebte Lehrerin (Dora Piatti vom RAI-Orchester in Mailand) krank wurde (und starb, aber das erfuhr ich erst Jahre später), also wollte ich aufhören. Aber mein Bruder kam gerade von seinem ersten Studium in Basel zurück und sagte zu mir: „Hör nicht auf. In Mailand wird jetzt ein Gambenunterricht angeboten, warum probierst du es nicht mal aus?“ Ich wusste nicht einmal, was eine Gamba ist (ich war 11!), aber ich fing damit an, lernte sehr schnell und begann, die unendlichen Möglichkeiten dieses Instruments zu geniessen. Die Begegnung mit dem Instrumentenbauer Luc Breton ermöglichte es mir, viele Konstruktionsprobleme zu überwinden, die leider bei den meisten Gamben-Kopien heutzutage auftreten, und ich konnte ein wunderschönes Instrument in den Händen halten und die Musik geniessen.
Wie unterscheidet sich der Klang einer Viola da gamba von dem eines Violoncellos?
Die Gamba ist in gewisser Weise ein „d’amore”-Instrument, was bedeutet, dass die Klangerzeugung mit der Resonanz verbunden ist und nicht nur mit der „Verstärkung” des Saitenklangs wie bei den Violinen. Die Gamba ist eine Laute mit Bogen, was viele Auswirkungen auf den Bau, die Klangästhetik, die Technik usw. hat (oder haben sollte). Das ist der Hauptunterschied. Die anderen Unterschiede (Bünde, Anzahl der Saiten usw.) sind gewissermassen Folgeerscheinungen. Aufgrund dieser Verbindung zur Resonanz galt die Gamba, ähnlich wie die Laute, zumindest bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, als edleres Instrument als das Cello. Dann änderte sich die kosmologische und philosophische Weltanschauung schlagartig, und die traditionelle musikalische Bedeutung des Instruments geriet völlig in Vergessenheit.
Was inspiriert Sie besonders an Marais? Worin unterscheidet er sich am meisten von Foqueray? Und worin ähneln sich die beiden?
Marais und Forqueray sind Giganten der westlichen Musik. Sie unterscheiden sich sehr in ihrer musikalischen Herangehensweise und im Umgang mit dem Instrument. Persönlich finde ich die Musik von Forqueray passender für mich – ich habe den Eindruck, dass ich sie ohne Anstrengung sofort und tiefgreifend verstehe. Marais ist irgendwie „besonderer” und erfordert immer eine gewisse Reflexion. Letztes Jahr habe ich den ersten Band eines neu entdeckten Buches von Marais veröffentlicht, in dem er selbst oder ein Schüler zu jeder Note (!) geschrieben hat, wie sie zu spielen ist. Es ist ein Rosetta-Stein der französischen Musik, ein Unikat in seinem Stil und vermittelt ein neues und starkes Bild dieser Musik, die nichts anderes ist als dezimiertes Theater in Musik. Aus diesem Grund haben wir den Titel „Decoding Marin Marais” (Hrsg. Libroforte) gewählt, denn mit dieser Entdeckung wird die französische Gambensprache zu einer wertvollen Quelle für alle, die den französischen Barock verstehen wollen.
Forqueray ist, abgesehen von einigen Gambisten und Cembalisten, weniger bekannt als Bach oder Vivaldi, weil sie (Vater und Sohn) nur Stücke für die Gamba hinterlassen haben. Aber das Niveau und die Originalität der Komposition sind so hoch, dass ich sicher bin, dass beide so berühmt wären wie Rameau, wenn sie Opern oder grössere Werke geschrieben hätten. Diese Musik ist ein Schatz an Kreativität und musikalischen Ideen: Aus diesem Grund habe ich es gewagt, das letzte Rondeau „Jupiter” für La Cetra zu arrangieren… – und gehe beim Arrangieren möglicherweise ein bisschen weiter als der französische Barockstil 🙂
Was ist Ihrer Meinung nach das Moderne an dieser Musik?
Musik ist Jetzt. Sie kann gut oder schlecht sein, schön gespielt oder nicht, aber es sind nicht der Text oder die Menge an Dissonanzen, die sie modern oder alt machen. Musik ist das, was jetzt geschieht und in einer Millisekunde vergeht. Sie ist eine psychologische Manifestation der „Zeit“, und die einzige Zeit, die wir erleben können, ist die Gegenwart. Ich denke, dass wir seit vielen Jahren das Konzept der „alten Musik” und ihrer Vermittlung völlig neu überdenken müssen. Das versuche ich gemeinsam mit meinem Kollegen am Mozarteum zu tun, um eine neue Vision dieses Repertoires und neue Möglichkeiten für die Studierenden zu entwickeln. Das ist ein komplexes Thema, das viel mehr Raum benötigen würde…
Was ist Ihre beste Strategie, um abzuschalten und sich zu entspannen? Wohin möchten Sie als Nächstes reisen?
Bei meiner Familie und meinen Töchtern bleiben. Ich liebe das Meer, ich glaube, ich war in meinem früheren Leben ein Delfin – oder werde es in meinem nächsten sein 🙂
Du weissst, dass Andrea Marcon auch ein berühmter Küchenchef ist 🙂 Was ist Dein liebstes italienisches Gericht und wo sollten wir das in Italien essen?
Ich habe festgestellt, dass viele von uns italienischen Musikern gute Köche sind. Ich finde das nicht überraschend: Erstens ist die Auswahl der Zutaten und deren Kombination genau dasselbe wie die Vorbereitung eines Orchesterstücks. Zweitens ist die Küche die einzige Tradition in Italien, die wirklich überlebt hat und von allen geteilt wird. Ich bin mir sicher, dass dies in der Vergangenheit auch für Musik und Oper galt, aber heute ist dies grösstenteils verloren gegangen. Ein Gericht? Schwer zu sagen … Ich mag einfache Gerichte, die aus fantastischen Zutaten zubereitet werden. Ich habe einmal in Palermo ein einfaches „Pasta al pomodoro fresco” gegessen, das wie eine Speise der Götter war. Man braucht keine Raffinesse, um ein Meister zu sein!
